Die Macht der Medien
Erzählung versus Information: Gedanken zur wachsenden Macht der Informationsverzerrung und Manipulation in den Medien.
Der Autor vor dem litauischen „Dante-Pendant“ Donelaitis
Redaktionelle Anmerkung:
In der letzten Ausgabe des Blech-Boten (Blech-Blog vom 11.10.2024) haben wir uns anlässlich eines aktuellen Vortrages mit der Medien-Vielfalt sowie mit unseren Verbindungszeitungen beschäftigt. Zur Abrundung dieses Themenkreises geben wir in dieser Ausgabe den nachfolgenden Artikel aus der Verbandszeitschrift „COULEUR“, Ausgabe 3/2023 wieder. (raf)
Wir erleben gerade das „Ende der großen Erzählungen“, die Legitimation und Sinn für die Gesellschaft aufbauen. Diese These, dass die Gesellschaft den Meta-Erzählungen der Vergangenheit keinen Glauben mehr schenkt, wurde vom französischen Philosophen Jean-François Lyotard (Das Postmoderne Wissen) bereits 1979 aufgestellt. Er beschreibt damit den grundlegenden Glaubensverlust in der Gesellschaft, die sich bis weit ins 20. Jahrhundert hinein an Aufklärung, Idealismus und Historismus orientierte. Und weil wir dieser alten Sicherheiten verlustig geworden sind, seien wir anfälliger für Zerstreuung und Totalitarismus geworden. Ähnlich sieht es auch der koreanisch-deutsche Kulturwissenschaftler und Philosoph Bjung-Chul Han. Er zeigt in seinem letzten Buch (Die Krise der Narration) 2023, dass der Verlust der identitätsstiftenden Funktion der Narrative verblasst und dadurch eine Funktionsstörung unseres geistigen Zu-Hause-Seins durch eine spezielle Art des Storytellings ersetzt. Dort wo das Fehlen der Erzählungen ein Vakuum hinterlässt, springt Storytelling ein und bildet eine Community. Diesmal aber nur für eine Konsumentengesellschaft, die immer mehr mit Informationen überflutet wird.
Erzählung und Information stellen in diesem Konzept Gegenkräfte dar: Durch einen dauernden Tsunami überbordender Information ist es den Menschen nicht mehr möglich, ihr Bedürfnis nach Orientierung, Sinn und Identität zu stillen. Das zeigt sich in den verzweifelten Versuchen der Menschen, sich in diesen Bereichen zu verankern, was aufgrund fehlender Heuristiken dann meist nicht gelingt. Beispiele dafür sind die mangelnde Empathie der „Generation Smartphone“, ideologische Querschüsse wie „Die letzte Generation“, aber auch die unreflektierte, unkritische Übernahme politischer Extrempositionen. Es wird immer mehr kommuniziert, immer mehr Medien konsumiert, immer mehr Information generiert – aber es wird immer weniger „erzählt“. Die Medienlandschaft hat sich vor allem deshalb in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Die Verbreitung von Informationen und Nachrichten erfolgt heute schneller und einfacher als je zuvor. Doch diese Entwicklung birgt auch Gefahren, denn durch das Fehlen der Erzählungen ist die Macht der Medien über die Meinungsbildung der Menschen größer denn je.
Die definitiv bedeutendsten Herausforderungen sind Verzerrung von Informationen und gezielte Manipulation der öffentlichen Meinung. In Zeiten von Fake News, Clickbait und Sensationsjournalismus ist es für viele Menschen schwierig geworden, zwischen Fakten und Meinungen zu unterscheiden. Stattdessen werden oft reißerische Schlagzeilen veröffentlicht, die auf Emotionen abzielen und die objektive Berichterstattung vernachlässigen. Die Folge ist eine zunehmende Polarisierung der Gesellschaft. Die Menschen bleiben in ihrer eigenen Filterblase gefangen und erhalten nur noch Informationen, die ihre eigenen Ansichten bestätigen. Ein weiteres Problem ist die einseitige Berichterstattung wegen der Abhängigkeit der Medien von politischen und wirtschaftlichen Interessen. Große Medienkonzerne und Verlage sind häufig in den Händen weniger mächtiger Menschen und/oder Unternehmen, die ihre eigene Agenda vorantreiben wollen. Dadurch werden unbequeme Themen oft verschwiegen oder verzerrt dargestellt, während andere Themen überproportional viel Aufmerksamkeit erhalten. Dies führt zu einer Verzerrung der öffentlichen Wahrnehmung und einer Verfälschung der Realität.
Das führt uns zur Art und Weise, wie Medien über bestimmte Themen berichten. Oft werden komplexe Sachverhalte auf oberflächliche und sensationslüsterne Art und Weise präsentiert, was zu einer Verflachung der Diskussion und einer mangelnden Informiertheit der Bevölkerung führt. Zudem wird die Privatsphäre von Personen oft mit Füßen getreten, indem intime Details öffentlich ausgebreitet und skandalisiert werden. Dies schadet nicht nur den betroffenen Personen, sondern untergräbt auch das Vertrauen in die Medien als verantwortungsbewusste und ethisch handelnde Instanz.
Die zunehmende Digitalisierung und Technologisierung der Medien spielt hier ebenso mit. Während es einerseits positiv ist, dass wir über das Internet und soziale Medien jederzeit auf Informationen zugreifen können, birgt dies auch Risiken. Die steigende Flut an Informationen macht es schwer, zwischen relevanten und unwichtigen Inhalten zu unterscheiden. Hier sind die Gefahr der Verbreitung von Fake News und Propaganda sowie das sich Verlieren in der Information größer denn je. Vor allem droht die Gefahr des digitalen Overloads. Bei zu vielen Informationen sind die Menschen überfordert und ziehen sich letztendlich aus der informierten Diskussion zurück – mit fatalen Folgen für Kultur, Gesellschaft und Demokratie.
Auch die Auswirkung der entgrenzten Medien auf die psychische Gesundheit der Menschen ist ein großes gesellschaftliches Problemfeld. Durch die ständige Verfügbarkeit von Informationen über das Internet und die sozialen Medien sind Stress und Überforderung oft vorprogrammiert. Zudem kann die permanente Konfrontation mit negativen Nachrichten und immer sensationelleren Schlagzeilen zu Ängsten und Depressionen führen. Dadurch sind viele Menschen ständig dem Druck ausgesetzt, sich mit anderen zu vergleichen und den vermeintlich perfekten Lebensstil zu präsentieren, was zu einem hohen Maß an Unzufriedenheit und psychischem Leid führt.
Es ist also unübersehbar, dass die Medienlandschaft heutzutage, neben dem „objektiven“ Informationsaspekt, viele problematische Bezüge aufweist, die eine ernsthafte Bedrohung für Kultur, Demokratie und Gesellschaft darstellen können. Die Macht der Medien über die Meinungsbildung und die öffentliche Wahrnehmung ist sehr groß geworden und birgt (wegen des Abstellens auf subjektive Informationen) die Gefahr des Missbrauchs durch politische und wirtschaftliche Interessen. Darum ist es dringend notwendig, dass die Medien selbst ihre Verantwortung als Informationsvermittler und Wahrheitssucher (im Sinne einer Erzählung) ernst nehmen. Um die Situation zu verbessern, bedarf es in Zukunft einer stärkeren (eigen-) Regulierung der Medienbranche. Es muss sichergestellt werden, dass die Informationen, die verbreitet werden, verlässlich und möglichst objektiv sind.
In gleicher Weise ist es unabdingbar, dass die Bevölkerung kritischer mit den Informationen umgeht, die sie über die Medien erhält. Dazu ist eine verstärkte Medienkompetenz der Bürger nötig, um sie in die Lage zu versetzen, kritisch mit den Informationen umzugehen und sich nicht von manipulativen Inhalten täuschen zu lassen. Hier ist jede und jeder Einzelne gefragt, nicht bloß die uns umgebende Gesellschaft, sondern vor allem sich selbst zu hinterfragen.
Schlussendlich muss es auch wieder einen echten Narrativ, eine Erzählung, geben, die in der Lage ist, dem Gemeinwesen Sinn, Orientierung und Identität zu geben. Nur so kann die Medienlandschaft wieder zu einer Informationsquelle werden, die das Vertrauen der Bevölkerung verdient und einen positiven Beitrag zur Meinungsbildung und demokratischen Diskussion leistet. In gewisser Weise stellen exakt die Prinzipien, die in den Studentenverbindungen gelernt, gelebt und weitergegeben werden (also Religio, Patria, Scientia und Amicitia) eine solche Erzählung bereit, die dauerhaft Sinn, Orientierung und Identität zu geben in der Lage ist.
Text und Bild: AH Dante