Blech-Blog

Ideen und Pläne zur Reichsreform (1.Teil)

Es ist kein Jux, sondern eine ernsthafte Auseinandersetzung unseres gleichnamigen Bundesbruders mit der Geschichte des ehemaligen Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn, die wir ab dieser Ausgabe in etwa monatlichen Abständen als Serie in den nächsten Blech-Boten präsentieren.

Der Prager Slawenkongress und die Deutsche Nationalversammlung.
(Grundtypen der Reformvorschläge: zentralistische, historisch-nationale, ethnisch-nationale; der Prager Slawenkongress, der Einfluss Herders; Befürchtungen der Slawen; sprachliche Schwierigkeiten; die Deutsche Nationalversammlung, Palackys Absagebrief, Austroslawismus)

Anm. d. Red.: Aus technischen Gründen sind allfällige diakritische Schriftzeichen der slawischen Namen in der HTML-Version nicht darstellbar.

Bei den Plänen und Ideen zu einer Reform des Habsburgerreiches kann man zwei grundsätzlich verschiedene Programme und Forderungen unterscheiden. Manche Volksgruppen betrachten Reformen lediglich als ein Übergangsstadium mit dem Ziel die Habsburgermonarchie in verschiedene selbständige Nationalstaaten umzuwandeln. Eigentlich handelt es sich hier nicht um Reformpläne zur Umgestaltung des Reiches, sondern um dessen Auflösung. Dagegen weisen echte Reformbestrebungen als Voraussetzung die grundsätzliche Bejahung der politischen Einheit des Reiches und dessen übernationalen Charakter auf.

Nach der Revolution von 1848 lassen sich drei Grundtypen für eine Reform feststellen: der zentralistische, der historisch-nationale und der ethnisch-nationale. Erstere wurde von Deutschen bevorzugt und fußte auf zentralistischen Vorstellungen Josephs II. Nach der Niederschlagung der Oktoberrevolution 1848 wurden diese bürokratisch-zentralistisch Maßnahmen (Neoabsolutismus) durch den Innenminister Alexander Bach vertreten.  Der Neoabsolutismus versteht sich als Reaktion auf die niedergeschlagene Revolution. Der ethnisch-nationale Typus vertrat die Möglichkeit einer Pflege des nationalen Lebens fußend auf historisch-politischen Einheiten. Dies führte zu einem Föderalismus. Diesbezügliche Reformpläne wurden vorwiegend von Vertretern größerer Volksgruppen vertreten, die über eine eigene Geschichte verfügten. Die ethnische Richtung dagegen negierte historische Entwicklungen. Dazu KANN: „Die dritte oder ethnische Richtung anerkannte in ihrer reinsten Form nur die ethnische Verwandtschaft als Grundlage der nationalen Rechte und ging über die historische Tradition völlig hinweg.“  1)  Noch im Revolutionsjahr 1848 erfolgten zwei Versuche betreffend einer Reichsreform: Der Prager Slawenkongress und der Reichstag von Kremsier.

Der Prager Slawenkongress.     
Er stellte ein wichtiges Konzept für eine Reorganisation des Reiches auf übernationalen Grundsätzen dar.  Der Kongress bemühte sich das slawische Nationalbewusstsein zu stärken und divergierende Zielsetzungen einzelner österreichischer slawischer Volksgruppen zu harmonisieren. Eine Quelle für das Aufkommen eines slawischen Nationalbewusstseins ist JOHANN GOTTFRIED HERDERS Werk „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“. Besonders das „Slawenkapitel“ des Werkes erweckte bei slawischen Intellektuellen Interesse für die Geschichte und Erforschung ihre Muttersprache. Auch betonte Herder den Wert des slawischen Zusammengehörigkeitsgefühls.

Die Idee des Kongresses wurde in einem bekannten Wiener Lokal geboren. Das „Sperl“, gelegen in der Leopoldstadt, bisher bekannt durch Konzerte der Strauß-Dynastie, diente als Treffpunkt der Wiener Slawen. Im April 1848 hielt dort der Slowake Ludovíd Stur vor mindestens 2000 Zuhörern eine begeisternde Rede. Er drückte seine Befürchtung über eine Selbständigkeit Ungarns und einer deutschen Staatlichkeit aus und regte, um dieser Gefahr für die Slawen Österreichs wirkungsvoll zu begegnen, einen allslawischen Prozess in Prag an. Es sollten in erster Linie Vertreter österreichischer Slawen teilnehmen; außerösterreichische Slawen sollten als Gäste willkommen sein. Ein prominenter dieser Gäste war der russische Anarchist Michail Bakunin. Seine Anwesenheit erregte aber Befürchtungen bei deutsch- und ungarisch-nationalen Kreisen. Ferner wurden panslawistische Einflüsse vermutet. Um diesen und anderen Befürchtungen entgegenzutreten wurde vor Beginn eine Erklärung verfasst. In den Punkten 1 und 2 wird allen Befürchtungen widersprochen:

„1. Wir erklären offen und feierlich, daß wir fest und unwandelbar entschlossen sind, dem angestammten, uns nach constitutionellen Grundsätzen regierenden Hause Habsburg=Lotharingen (sic!) die alte Treue unverändert zu bewahren und die Erhaltung der Integrität und Souveränität des österreichischen Kaiserstaates mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln zu sichern. Wir weisen daher im Vorhinein alle von Uebelwollenden gegen uns etwa erhobenen Verdächtigungen über angeblichen Separatismus Panslawismus Russismus und wie alle derlei Schlagwörter sonst noch lauten möge, dahin zurück, woher sie kommen, in das Gebiet der Lüge und Verläumdung (sic!).

2.Wir erklären ebenso feierlich, daß es nie unsere Absicht gewesen ist, noch sein wird, irgendeine nichtslawische Nationalität zu beeinträchtigen oder zu bedrücken, indem unser Streben von jeher nur dahin gerichtet ist, dem Grundsatz der vollen Gleichberechtigung aller Nationalitäten im österreichischen Kaiserstaate die nöthige Anerkennung und praktische Geltung zu verschaffen.“  ²)

Der Kongress begann am 2. Juni. Den Vorsitz führte Frantisek Palacky. In einem Manifest an die Völker Europas wurde nicht nur die individuelle Freiheit, sondern auch die Freiheit ganzer Völker gefordert. Am 12. Juni brach der Prager Pfingstaufstand aus; am 17. Juni kapitulierte Prag. Ausländische Teilnehmer wurden ausgewiesen; inländische kehrten in ihre Heimatsorte zurück. Über das abrupte Ende des Kongresses und über sprachliche Schwierigkeiten bei der Verhandlungsführung spottete Karl Marx:

„Die Böhmen und Kroaten beriefen […] einen slawischen Kongress nach Prag ein, der die allgemeine Verbrüderung der Slawen verbreiten sollte. Der Kongress wäre auch ohne das Eingreifen des österreichischen Militärs völlig misslungen. Die verschiedenen slawischen Sprachen sind ebenso verschieden von einander wie das Englische, das Deutsche und das Schwedische, und als man die Verhandlungen eröffnete, fehlte die gemeinsame slawische Sprache, durch welche die Redner sich verständlich machen konnten. Man versuchte es mit dem Französischen, aber die Majorität verstand auch das nicht, und die armen slawischen Enthusiasten, deren einziges gemeinsames Empfinden der gemeinsame Hass gegen die Deutschen war, sahen sich schließlich gezwungen, sich in der verhassten deutschen Sprache auszudrücken, als der einzigen, die sie Alle verstanden. Gerade um dieselbe Zeit versammelten sich noch ein anderer Slawenkongress in Prag, in der Gestalt galizischer Ulanen, kroatischer und slowakischer Grenadiere und böhmischer Kanoniere und Kürassiere, und dieser wirkliche, bewaffnete Slawen-Kongress unter dem Kommando von Windischgrätz jagte in weniger als vierundzwanzig Stunden die Begründer der eingebildeten slawischen Suprematie aus der Stadt und zerstreute sie in alle Winde.“  ³)

Marx beschrieb die Sprachschwierigkeiten, man wird an die biblische babylonische Sprachverwirrung erinnert, treffend. Als Internationalist und Proponent des Klassenkampfes zeigt er sich an nationalen sprachlichen Auseinandersetzungen folglich uninteressiert, aber seine als Revolutionär getätigten zynischen Bemerkungen zur Niederschlagung eines Aufstandes mittels Waffengewalt stimmen bedenklich.

Welche Ergebnisse brachte der Kongress? Von besonders historischem Interesse für die österreichische Nationalitätenfrage ist die an den Kaiser gerichtete Denkschrift, welche sich ausschließlich mit österreichischen Angelegenheiten beschäftigt. Hauptsächlich wurde an den Kaiser die Föderalisierung des Gesamtreiches anempfohlen. Schließlich tendierte der Kongress in Richtung Panslawismus. Darunter wird ein romantischer Nationalismus, der zu einer kulturellen und religiösen Einheit aller slawischer Völker Europas führen sollte, verstanden. Forderungen nach Föderalisierung sollten bei Ideen und Vorschlägen zu einer Reichsreform im Mittelpunkt stehen.

Die Deutsche Nationalversammlung.

Nach der Abdankung Metternichs (März 1848) kam es in auch in Berlin, München und in anderen Hauptstädten deutscher Staaten zu Aufständen. Eine demokratische Verfassung und eine Reform des Deutschen Bundes sowie die Wiederherstellung eines Deutschen Reiches wurde gefordert. Vertreter aus allen Gebieten des Bundes wurden nach Frankfurt am Main eingeladen. Vertreter deutschsprachiger Gebiete folgten der Einladung; die Tschechen lehnten die Entsendung ihrer Abgeordneten nach Frankfurt mittels des historischen Absagebriefes ab. Palacky zeigte hier seine Verbundenheit mit dem österreichischem Kaiserstaat: „Wahrlich, existierte der österreichische Kaiserstaat nicht schon längst, man müßte im Interesse Europas, im Interesse der Humanität selbst sich beeilen, ihn zu schaffen.“ 

Die Versammlung berührte Versuche einer Reform der Habsburgermonarchie nicht direkt, zeigt aber Verhältnisse der einzelnen Völker zum Gesamtstaat, siehe Palackys Absagebrief, auf. Der Führer der Alttschechen Palacky gemeinsam mit Frantisek Ladislav Rieger vertraten die politische Richtung eines Austroslawismus, der eine Umformung der Doppelmonarchie in einen trialistischen Staat unter Beibehaltung der Monarchie forderte. Mit österreichischen Theoretikern der Sozialdemokratie, wie Otto Bauer und Viktor Adler, gab es diesbezüglich ideologische Gemeinsamkeiten. Um 1890 wurde der Austroslawismus durch radikale Ideen der Jungtschechen abgelöst.

Text: AH Jux

Fortsetzung folgt

 

1)    Robert A. Kann, Das Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie. 2. Band. Ideen und Pläne zur Reichsreform. Verlag Hermann Böhlaus Nachf. /Graz-Köln.1964. 8.

²)    Aktenmäßiger Bericht über die Verhandlungen des ersten Slawenkongresses in Prag/ vorgel. Von J.P. Jordan. 1848. S.16. ULB: Digital, Universität Innsbruck.

³)    Karl Marx: Revolution und Kontre-Revolution in Deutschland: Hrsg: Karl Kautsky. Dietz, Stuttgart 1896. Kap.IX. Der Panslawismus. Der Krieg in Schleswig-Holstein, S.64. (projekt-gutenberg .org).

QUELLEN

Als Grundlagen dienten folgende Bücher:

  • Ernst Bruckmüller. Österreichische Geschichte. Böhlau Verlag Wien Köln Weimar. 2019.
  • Heinrich Drimmel. Franz Joseph. Amalthea Wien München. 1983.
  • Ernst Joseph Görlich-Felix Romanik. Geschichte Österreichs. Tyrolia-Verlag. Innsbruck Wien. 1966.
  • Robert A. Kann. Das Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie.
  • Erster Band: Das Reich und die Völker. Zweiter Band: Ideen und Pläne zur Reichsreform. Verlag Hermann Böhlaus Nachf./ Graz-Köln. 1964.
  • Alfred Payerleitner. Adler und Löwe. Krenmayr & Scheriau. Wien.1990.

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