Blech-Blog

Blech-Blog, 11. April 2024

Wiener G‘schichten

Eine Reihe von im Jahr 2024 anstehenden Jubiläen in unserer Stadt sowie einige andere Ereignisse

sind ein Grund, sich wieder einmal mit der Geschichte und den Geschichterln von bzw. aus Wien zu beschäftigen.

Wiener Wachstum
Im Frühmittelalter beschränkte sich die Größe der Stadt Wien auf den Bereich zwischen Tiefer Graben und Rotenturmstraße bzw. von der Donau (dem heutigen Donaukanal) bis zum Graben. Die damalige Stadtmauer wurde auf den Resten der Befestigung des römischen Legionslagers Vindobona erbaut, welches die Form eines streng regelmäßigen Rechtecks hatte. Wieso die nordöstliche Seite der mittelalterlichen Stadt nicht diesem rechtwinkeligen Grundriss entspricht, kann man im Buch Rundumadumin einem von Bb Rovere geschriebenen Kapitel über die Flut von Vindobona *) detailliert nachlesen. Dort findet man auch ausführlicher, dass die Stadt – nachdem Herzog Heinrich Jasomirgott seinen Sitz nach Wien verlegte – rasch gewachsen ist und mit einem Teil des Lösegelds, das für König Richard Löwenherz an Herzog Leopold V. bezahlt wurde, auf die Größe des heutigen ersten Bezirks ausgebaut wurde.  Die damals errichtete Stadtmauer hatte langen Bestand und wurde erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geschliffen, um die Innere Stadt mit den zu dieser Zeit in die Bezirke 2 bis 9 umgewandelten Vorstädten zu verbinden.

An Stelle der Stadtmauer wurde 1864 – also vor 160 Jahren – mit dem Bau der Ringstraße begonnen, welche ein Jahr später eröffnet wurde, wobei damals noch lange nicht alle der bekannten Ringstraßenbauten fertiggestellt waren. Vor 150 Jahren, im Jahr 1874, wurden Teile des 3. bis 5. Bezirkes die südlich des Gürtels lagen, welcher anstelle des Linienwalls errichtet wurde, mit außerhalb liegenden Bereichen, die bis etwa zum heutigen Reumannplatz reichten, zum 10. Wiener Gemeindebezirk zusammengeschlossen. Den Namen Favoriten verdankt der Bezirk übrigens seiner Lage in Verlängerung der Favoritenstraße, welche ursprünglich nur von der Hofburg zum Lieblingsschloss von Kaiser Karl VI., dem Favorita auf der Wieden, führte. Dieses Schloss wurde von seiner Tochter Maria Theresia in eine Ritterakademie für die adelige Jugend umgewidmet. Diese Theresianische Akademie besteht als Gymnasium, kurz Theresianum genannt, heute noch immer. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Stadterweiterung mit der Eingemeindung der Bezirke 11 bis 19 fortgesetzt und der 20. Bezirk von der Leopoldstadt abgetrennt. 1904, also vor 120 Jahren, wurde die Erweiterung mit der Eingliederung des transdanubischen Gebiets von Floridsdorf als 21. Wiener Gemeindebezirk vorerst abgeschlossen. Nach dem anschlussbedingten Intermezzo als Groß-Wien erfolgten nach dem 2. Weltkrieg die bislang letzten Erweiterungen.

Wien-Plan

Wie aus der obigen Karte aus dem Wien Museum ersichtlich ist, waren die äußeren Bezirke um 1900 noch deutlich kleiner als gegenwärtig. Die Grenze war bei der Donauländebahn, welche u.a. vom Alberner Hafen bzw. der Süd-Ost-Bahnstrecke über Kledering und Meidling bis zum Westbahnhof führt und somit vorwiegend für den Güterverkehr eine Umfahrung der damaligen Stadt ermöglichte. Die südlicheren Gebiete des heutigen Favoriten gehörten ab der Bundesländeraufteilung nach Ende der Monarchie vorerst zu Niederösterreich und wurden erst 1954 an Wien angeschlossen. Doch die Geschichte dieser Region ist viel älter. Vor der Aufhebung der Grundherrschaft infolge der Verfassungsreform nach der Revolution von 1848 gab es in Oberlaa mehrere Grundherren wie z.B. die Herren von Laa und Ebersdorf, den Malteser Ritter-Orden sowie verschiedene Klöster und Stifte, darunter auch Klosterneuburg, Heiligenkreuz und Altenburg. Und in einer Kaufurkunde des Stifts Altenburg aus dem Jahr 1324 findet sich auch die erste urkundliche Erwähnung von Oberlaa, das damals noch als Obern-Loch bezeichnet wurde. Diese niederhochdeutschen Namen sind gleichbedeutend mit Lache oder Lacke und typisch für Überschwemmungsgebiete, zu denen früher auch das Liesingbachtal zählte. Aufgrund der oben erwähnten Urkunde wurde im heurigen März das 700-jährige Bestehen von Oberlaa, das seit 70 Jahren ein Bezirksteil von Favoriten ist, gefeiert.

*) Rundumadum, Band 06, Geheimnisse der Inneren Stadt, Verborgene Orte im alten Wien

G‘schichten vom Wienerwald
Der Wienerwald ist der östlichste Ausläufer der Alpen und seine Urwälder bedeckten ursprünglich fast das gesamte spätere Stadtgebiet sowie das Wiener Becken. Mit zunehmender Besiedelung und Landwirtschaft wurde das Waldgebiet immer weiter zurückgedrängt. Ab dem 13. Jahrhundert war das Gebiet im Besitz der Habsburger. Kaiser Maximilian I. teilte den Wald um 1500 in ein Jagdrevier und eine Forstwirtschaft, welche unter anderem nach der Türkenbelagerung das Holz für den Bau der Stadtbefestigungen und den Wiederaufbau der zerstörten Häuser lieferte. Unter Maria Theresia wurde der Wienerwald aus dem Privateigentum der Habsburger in das Staatseigentum überführt und z.B. der Prater zur öffentlichen Benutzung freigegeben, während der Lainzer Tiergarten als kaiserliches Jagdreservat eingefriedet wurde. Mit zunehmender Industrialisierung und dem Ausbau der Eisenbahnen stieg einerseits der Holzbedarf und wegen der kriegsbedingten Budgetprobleme andererseits wurde vom k.k. Finanzministerium der Verkauf eines Teiles des im Staatsbesitz befindlichen Wienerwaldes an den Holzhändler Moritz Hirschl beschlossen. Über diesen Sachverhalt wurde im Fernsehen eine Dokumentation mit dem Titel Habsburgs grüne Sünde gezeigt, in der mehrfach behauptet wurde, dass die Habsburger den (gesamten?) Wienerwald verkauft hätten, wenn nicht der mit rund 30 Jahren pensionierte Oberleutnant Josef Schöffel dies mit einer Zeitungskampagne verhindert hätte. Daher wurde und wird der spätere Bürgermeister von Mödling als Retter des Wienerwaldes gefeiert und von mehreren Wienerwaldgemeinden zum Ehrenbürger ernannt. Dass Schöffel den jüdischen Holzhändler Hirschl in (mindestens) einem Zeitungsartikel als Saujud bezeichnet hat, konnte man in der Dokumentation nur bei sehr aufmerksamer Betrachtung ein paar Sekunden lang in einem Zeitungsausschnitt lesen und dieser wurde nicht weiter thematisiert. Ebenso wenig wurde erwähnt, dass es nach dem 1. Weltkrieg zu illegalen Rodungen und Siedlungsbauten (der sogenannten Friedensstadt) im Lainzer Tiergarten gekommen ist, woran wohl auch „die Habsburger“ Schuld sind, weil sie den Krieg verloren haben. Ohne die naturschützerischen Aktivitäten von Schöffel, die dazu beigetragen haben, dass uns der Wienerwald in der heutigen Form als Naherholungsgebiet erhalten blieb, schmäler zu wollen, finde ich es schon bedenklich, dass seine antisemitischen Äußerungen offenbar weniger problematisch sind als die von anderen Personen (vgl. Beitrag „40 Jahre danach“ im Blech-Boten 2/2024).

Wiener Künstler(innen)-Pech
Im letzten Dezember hat das Wien Museum nach mehrjährigem Umbau wieder seine Pforten geöffnet und die große, neu inszenierte Dauerausstellung lädt zum kostenlosen Besuch ein. Von außen präsentiert sich der Zubau relativ unspektakulär als Betonklotz, der über dem dreistöckigen Nachkriegsbau zu schweben scheint, da die Glasfassade des vierte Stockwerks, das unter anderem ein Lokal beherbergt, etwas nach hinten versetzt ist, um Platz für eine Terrasse zu schaffen, von der man eine grandiose Aussicht auf die Karlskirche und den ganzen Karlsplatz genießen kann. Von innen beeindruckt vor allem die große, mehrstöckige Halle mit dem an einer Längsseite verlaufenden Treppenaufgang. Darin schwebt unter anderem der von dem nach ihm benannten Praterlokal stammende „Walfisch“, welcher vor der Verschrottung gerettet wurde. Die Präsentation der Original-Bronzefiguren des Donner-Brunnens, die statt auf einem Brunnenrand auf eckigen, weißen Sockeln ruhend in das Untergeschoß blicken, finde ich weniger gelungen und warum auch eine Kutsche in der Halle schweben muss, statt auf festen Untergrund zu stehen, ist fraglich. Das übrige Raumkonzept ist gewöhnungsbedürftig, da man aufgrund der zahlreichen Zwischenwände, welche zur Aufhängung von Bildern, Plakaten und sonstigen Ausstellungsstücken erforderlich sind, und in Ermangelung von Übersichtsplänen leicht die Orientierung verliert.

Bei der Gestaltung der Ausstellung wurde von den Kurator:innen, welche dem Namen nach zu schließen großteils Frauen mit Migrationshintergrund sind, dem Trend der Zeit entsprechend offenbar besonders darauf geachtet die großen Töchter unseres Landes sichtbar zu machen. Dabei kam ihnen zu Gute, dass im Belvedere schon vor ein paar Jahren eine Ausstellung über das Schaffen kaum bekannter Wiener Künstlerinnen aus der Zeit von 1900 – 1938 gezeigt wurde, bei der auch Skulpturen der erst kurz zuvor wiederentdeckten, in Budapest geborenen jüdischen Bildhauerin Teresa Feodorowna Ries, präsentiert wurden. Als diese 1942 in die Schweiz fliehen musste, wurde ihr Atelier geplündert, wobei viele ihre Werke zerstört wurden. Einige Objekte wurden jedoch in der NS-Zeit von der Städtischen Sammlung – dem Vorgänger des heutigen Museums – „übernommen“, aber vom damaligen Leiter, der auch danach(!) noch bis zu seiner Pensionierung im Amt bleiben durfte, nicht einmal inventarisiert. Erst in den 1960er-Jahren hat sich ein Nachfolger wieder mit den Kunstwerken von T.F. Ries befasst und es wurde festgehalten, dass das Historische (Wien) Museum kein Interesse daran hat. Daher wurden einige Skulpturen 1974 der Wiener Internationalen Gartenschau als Dekoration zur Verfügung gestellt und danach nicht mehr zurückgenommen. In der Folge landeten diese Objekte am Komposthaufen des Kurparks Oberlaa, wo sie von Vandalen beschädigt wurden und jahrzehntelang bis zu ihrer Wiederentdeckung und Restaurierung vergammelten.

Hexe

Die Skulptur „Hexe bei der Toilette für die Walpurgisnacht“ zeigt eine auf einem Besen
sitzende, nackte Frau mit wirrem Haar und bösartigen Gesichtszügen beim Schneiden
ihrer Zehennägel mit einem, an eine Rebschere erinnernden Werkzeug.

Die Künstlerin Valerie Habsburg, eine Nachfahrin von Kaiserin Elisabeths Lieblingstochter, hat vor ein paar Jahren bei einer Auktion den Nachlass von T.F. Ries erworben und entdeckt, dass diese in einem vor der Emigration verfassten Testament verfügt hat, dass alles was sie geschaffen hat dem jüdischen Volk gehören soll. Doch obwohl das rote Wien ansonsten immer sehr philosemitisch ist und gegen alles was „rechts“ ist protestiert wird, stellten sich die Verantwortlichen in diesem Fall taub und „restituierten“ die Kunstwerke entgegen der Beweise nicht an die Israelitische Kultusgemeinde, sondern an die Museen der Stadt Wien selbst, welche jetzt voller Stolz das Objekt „Hexe bei der Toilette für die Walpurgisnacht“ präsentieren. Ein seltsamer Fall von Vergangenheitsbewältigung, bei dem das letzte Wort hoffentlich noch nicht gesprochen ist.

Wiener Bausünden
Während in jüngerer Zeit ständig und völlig zu Recht gegen die fortschreitende Bodenversiegelung gewettert wird, wird in Wien an vielen Stellen fleißig weitergebaut. So werden z.B. in der Donaustadt nördlich der Seestadt sukzessive weitere fruchtbare Felder im Bereich Oberes Hausfeld, die zur Selbstversorgung der Stadt mit Lebensmitteln beigetragen haben, in riesige Wohnhausanlagen verwandelt. Auch die Stadtentwicklung von RothNEUsiedl (so die offizielle Schreibweise der Stadtplaner) wird vehement vorangetrieben und die Vernichtung von 124 ha wertvollem Ackerland im Süden von Wien (vgl. Artikel Land der Äcker im Blech-Boten 3/2023) ist beschlossene Sache. Dass das Projekt mit einem grünen Mäntelchen behübscht werden soll, indem die Bauten von Grünflächen umgeben werden und  Gartenflächen für eine „essbare Stadt“ entstehen sollen, mindert den entstehenden Schaden nur minimal. Die Herrschaft Rothneusiedl wurde übrigens vor 150 Jahren von Moritz Hirschl (siehe weiter oben) erworben und von einem späteren Besitzer zu dem Gutshof, der heute unter dem Namen Haschahof bekannt ist und unter dem Namen Zukunftshof erhalten werden soll, ausgebaut. Während einerseits Äcker durch den Bau von tausenden Wohnungen verloren gehen, wurden andererseits in der Nähe – an der Nord- und Nordwestseite des Kurparks Oberlaa – die bestehenden Parkplätze mit hässlichen Betontrennwänden gesperrt bzw. unterteilt und die Straßen mit Schikanen verbaut, hinter denen sich eingezäunte Spielplätze befinden (siehe Bilder unten), anstatt dieses bereits versiegelte Areal für Gebäude zu nutzen. Angeblich gibt es keinen anderen Weg, um dort illegale Straßenrennen zu verhindern, als die asphaltierten Flächen um vermutlich teures Geld zu zerstören, damit direkt neben dem großen Kurpark neue Grünflächen errichtet werden können …

Parkplatz 1    Parkplatz 2     Parkplatz 3

An einer anderen Stelle von Favoriten wurde im Zuge des Umbaus des Hauptbahnhofes eine sinnvolle Nachverdichtung vorgenommen, indem das nicht mehr benötigte Bahngelände des alten Süd-Ost-Bahnhofs für den Neubau von Büro- und Wohnbauten sowie Hotels genutzt wurde. Auch ein großer Bildungscampus wurde dort errichtet. Darüber hinaus ist im sogenannten Sonnwendviertel auch ein sehr großer Park entstanden, der die Bedürfnisse der verschiedensten Benutzergruppen (Erholungsort, Spielplatz, Hundezonen) abdeckt. Obwohl die Fertigstellung dieses Gebietes noch nicht lange zurückliegt, wurde im Vorjahr der neu gebaute Platz neben dem Campus in der Gudrunstraße wieder für acht Monate aufgerissen, um dort einen „Jubiläumsbrunnen“ (Bild unten) zu errichten, der an die Errichtung des Hochquellenwasserleitung vor 150 Jahren erinnern soll. Die Gestaltung, welche knapp 2 Millionen Euro kostete, wurde der Künstlergruppe Gelitin übertragen, welche sich offenbar dadurch qualifiziert hat, dass sie u.a. vor längerer Zeit in Salzburg einen rosaroten nackten Mann kreiert hat, der eine Brücke schlägt und sich aus seinem erigierten Penis selbst anpinkelt.

Brunnen

Das Ergebnis sind Figuren, die im Kreis sitzen und so aussehen als hätten mäßig begabte Kinder der umliegenden Bildungseinrichtungen Phantasiegestalten aus Plastilin modelliert, welche vergrößert und in Beton nachgegossen wurden (siehe Bild oben). Geschmäcker sind bekanntlich verschieden, aber als ästhetisch anspruchsvoll kann man dieses Machwerk – im Unterschied zur weiter oben abgebildeten Hexe – jedenfalls nicht bezeichnen. Aber wenigstens sind die Kosten für diese Bausünde im Vergleich zu etlichen anderen Plätzen, die in den letzten Jahren neu gestaltet und bald darauf erneut aufgerissen und umgebaut wurde relativ bescheiden. Spitzenreiter der Steuergeldverschwendung dürfte vermutlich der Praterstern sein, wo im Jahr 2008 um 30 Millionen Euro eine hässliche 330m lange Pergola aus massiven Metallstangen errichtet wurde, welche – wie bereits im Artikel „Admiral Tegetthoff soll leben“ (Der Blech-Bote 7/2020) angekündigt – 2022 im Zuge einer weitere 7,2 Millionen Euro verschlingenden Umgestaltung wieder entfernt wurde. Die einzige wahre Zierde des Pratersterns, das Tegetthoff-Denkmal, welches im Jahr 1886 (20 Jahre nach der Seeschlacht bei Lissa) enthüllt wurde, war wesentlich kostengünstiger und blieb von den diversen Umgestaltungen des Platzes Gott sei Dank verschont.

Text und Bilder: DDr.cer. Raffael

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